Startseite » Blog » Warum Online-Beiträge anders geschrieben werden müssen als Print-Artikel
Wer online (s)eine Leserschaft erreichen möchte, muss seine Inhalte anders aufbereiten als Journalisten im Print. Wieso, verrät eine britische Studie.
Es bedarf keines Kennerblickes, um festzustellen, dass zwischen Online- und Print-Artikeln häufig sprachliche, formale und sogar qualitative Unterschiede bestehen: Online-Beiträge sind in der Regel kürzer als in Print-Medien, sie sind in einer anderen Sprache geschrieben und nicht selten weniger hintergründig. Das hat vor allem einen Grund: Web-User lesen Texte nicht, sie überfliegen sie. Das ist das Ergebnis einer britischen Studie, die das Leser-Verhalten bei Online- und Print-Beiträgen untersuchte.
Demnach sind Online-Leser vor allem auf der Suche nach Kernaussagen und Keywords, die für ihren aktuellen Informationsbedarf von Bedeutung sind – sie „scannen“ Texte, anstatt sie in Ruhe zu lesen; häufig werden sogar nur einzelne Absätze eines Artikels überflogen – das nennt man „Skimming“.
Dieses Verhalten hat etwas mit der Rezeption, also der Aufnahme von Texten zu tun – auf dem Bildschirm liest es sich rund ein Viertel langsamer als gedruckt auf Papier, zudem ist das Lesen am Monitor deutlich ermüdender – ergo anstrengender. Dazu tragen auch die durch bunte und bewegte Elemente unruhig wirkenden Internetseiten bei: Der Leser wird schneller abgelenkt, ist weniger nur auf den Text fokussiert.
So ging man dazu über, Online-Texte kürzer und prägnanter zu schreiben: kurze Sätze, schnörkellose, eher alltagstaugliche Sprache, einfache Struktur. Auf Schmuck- und Füllwörter wird verzichtet. Das steigert die Lesbarkeit.
Aber ist alles zusammen auch der Qualität zuträglich? Online-Redakteur Jan Tißler schreibt in einem aktuellen Beitrag auf netzwertig.com zum Thema „Medienwandel: Warum Online-Journalist inzwischen ein Traumberuf ist“: „Die journalistische Qualität so mancher Online-Medien ist erschreckend. Da macht es bedauerlicherweise auch keinen Unterschied, wenn die Website einen großen Namen aus der klassischen Medienwelt trägt.“ Zu viele setzten dabei auf Masse, schnelle Meldungen, sensationelle Überschriften sowie Tricksereien mit Suchmaschinenoptimierung und bei Google News. „Zeitungen und Magazine, die in ihren Printausgaben als Eckpfeiler demokratischer Willensbildung gesehen werden könnten, verkommen online zu hingepfuschten Boulevardnews-Schleudern.“ – Sie bräuchten die Klicks, andere Strategien würden nicht ernsthaft ausprobiert. Das schreibt einer, der selbst leidenschaftlich gerne als Online-Redakteur arbeitet.
Auch ein Blick in die Bloglandschaft zeigt: Von hoher Qualität sind im Vergleich zur Masse nur wenige Blogbeiträge – klar, denn hier kann jeder schreiben, was und wie er will.
In einer weiteren Studie kamen Jakob Nielsen und John Morkes zu dem Schluss, dass Leser kürzere Texte gar für vollständiger halten als längere. Um der Frage „Wie kurz ist zu kurz?“ auf den Grund zu gehen, wurde ein Print-Artikel im Vorfeld entsprechend präpariert: Der Text wurde um mehr als die Hälfte der Originallänge gekürzt, wichtige Infos wurden rausgestrichen. Die Probanden hatten am Bildschirm dann die Wahl zwischen beiden Texten – mit einem interessanten Ergebnis: Die Studienteilnehmer zogen fast alle die kürzere Textversion vor und nahmen sogar an, diese sei informativer und vollständiger als der längere Originaltext. Daraus leitete man ab: Zu viele Informationen werden als Ballast wahrgenommen. So empfehlen die Autoren Nielsen, Schemenaur und Fox als Richtlinie eine Web-Textlänge von rund 50 Prozent eines vergleichbaren Print-Textes.
Neben der Länge spielen der Aufbau und die Wortwahl eine Rolle. Für Print-Texte ist traditionell eine lineare Schreibweise üblich; sie sollen von Anfang bis Ende gelesen werden. Hypothese – Argumentation – Ergebnis. Anders Online-Beiträge: Sie sollen so aufgemacht sein, dass man zwischendrin ein- und aussteigen und selbst mit Skimming dem Thema problemlos folgen kann. Der Online-Leser verlangt einen schnellen Zugriff auf die Ergebnisse – Hypothesen und Argumentation gehören dabei in eine tiefere Hierarchie-Ebene. „Ein umgekehrtes Pyramidenprinzip“ nennen das Morkes und Nielsen.
Nach einer ausdrucksstarken Überschrift (Title) folgt der Teaser, der das Thema des Textes kurz anreißt. Hier sind die wichtigsten Punkte in leicht verständlichen Worten zusammengefasst. Wer es schafft, den Teaser mitreißend zu schreiben, wird wahrscheinlich auch mehr Leser für den Beitrag begeistern können, so die Vorgabe. Der Teaser ist häufig zusätzlich auf der Startseite einer Website vorzufinden.
Der Text selbst ist in einzelne Abschnitte gegliedert – jeder nicht länger als 100 Wörter: oben die allgemeinen Infos, im unteren Teil des Absatzes folgen die Details. So können selbst Leser, die den Text nur überfliegen, dem Verlauf folgen. Jeder Absatz erhält eine Zwischenüberschrift, die das dort Gesagte prägnant in zwei, drei Worten zusammenfasst.
Prinzipiell: Geschrieben wird in kurzen, verständlichen Sätzen. Um ein breiteres Publikum erreichen zu können, sollen Online-Texte eine möglichst einfache Struktur und eine geläufige Sprache aufweisen und nicht zu lang sein. „In der Kürze liegt die Würze“, ist online das Credo. Denn je kürzer und einfacher geschrieben, desto mehr Menschen mit unterschiedlichen Lesegewohnheiten können kurz „reinlesen“ und Zusammenhänge auf dem einfachsten Niveau nachvollziehen.
Generell gilt:
Eben weil jedoch der Stil, der Aufbau und die Sprache gegenwärtig so anders sind als in den meisten Print-Medien, stellen Online-Medien noch lange nicht die so häufig lancierte Ablöse des gedruckten Wortes dar. Die Unterschiede sind zu groß; Diskrepanz herrscht leider manchmal dort, wo es um die Qualität der Beiträge geht. Online-Beiträge bedienen dabei ein anderes Publikum als Print-Artikel.